“Nur 1 Stunde”


Man sollte meinen, dass es noch kaum der Mühe lohnt, sich mit der Werbung und ihren Wirkungsmechanismen auseinander zu setzen. Bilderflut und Marktgeschrei sind längst zur Selbstverständlichkeit geworden. Wie selbstverständlich, zeigt die Tatsache, dass wir ohne großes Bedenken unsere Kinder vor dem Fernseher sitzen lassen und nicht mehr zur Kenntnis nehmen oder nehmen wollen, dass sie dort zu Konsumenten herangezogen werden: Mit Kinderprogrammen, die angeblich der Unterhaltung dienen sollen, aber in Wahrheit nur als Vehikel für die Produktwerbung benutzt werden.
Wie dies funktioniert, zeigt uns die Installation „Nur 1 Stunde“ des Künstlers Edmond Oliveira. Die Arbeit dokumentiert einen authentischen, mehrminütigen Werbeblock, der dreimal mit wechselndem Inhalt währendeiner Stunde in einer Kindersendung im Mittagsprogramm ausgestrahlt wird. Eine Stunde enthält sage und schreibe einundzwanzig Minuten Werbung. Um die Wirkungsweise besser aufdecken zu können, hat der Künstler Bild und Ton von einander getrennt und in verschiedenen Räumen präsentiert. Die getrennte Präsentation schärft den Blick für die psychologischen Mittel, die die „Wunschspirale“ (Norbert Bolz) in Gang setzen, und für die Intensität des auf uns einprasselnden Werbekauderwelsch. So erst wird einem bewusst, dass die gleichzeitige schnelle Abfolge von Tönen und Bildern in Werbeclips längst die physiologisch begrenzte Aufnahmefähigkeit einesjeden Menschen übersteigt.
Geworben wird zudem nicht mehr mit Qualität, sondern mit Gefühlen, Spieltrieb, Ideen, Erzählungen, Zufriedenheit, guter Laune und vor allem mit Lifestyle.
Der Erfahrungsfundus wird auf die Warenwelt projiziert und übertragen. Hierzu passt auch die Wiederholung des Immergleichen.
Sie bewirkt, wie Adorno in der „Dialektik der Aufklärung“ dargelegt hat, eine Einengung der Wahrnehmung von Welt – nur so wie die Welt in den Medien reproduziert wird, kann sie sein – und führt so zur Konformität. Im Grunde registriert der Künstler nur eine Ersatzrealität, die in unserer mediengestützten Gesellschaft zum Realen wird.
Wie so oft demonstriert Oliveira auch hier, dass er Kunst als manifeste Stellungnahme und als Transformation sozialen und politischen Engagements versteht. Die Vorgehensweise, das heißt die Dokumentation des Realen als Kunststrategie, ist in der heutigen Kunstdebatte nicht unumstritten. Kritiker wie der Kunsthistoriker und Kurator Jean-Christophe Amman sprechen gar polemisierend von „ideologischer Mobilmachung und ästhetischer Verweigerung“. Aus dieser Sicht muss eine Strategie der Dokumentation als Kunst scheitern, weil sie „dem Individuum den subjektiven anarchischen, sinnenbetonten, phantasmagorischen Freiraum verweigert“.
Wenn also der nichtkommunizierbare Rest, der den Raum für vielfältige Interpretationen schafft, schwindet. Aber um ein tiefes Unbehagen an der eigenen Zeit beim Betrachter zu bewirken, ist das Einsetzen von extrem realistischen Bildern sehr wirkungsvoll. Wie der amerikanische Kunsthistoriker Hal Foster schreibt, hilft die er-neute Konfrontation mit der Realität, in unserem Fall der Medienwelt, durch ein zufälliges Momentum (Lacan nennt estyche; Barthes spricht vom punctum) das Reale als traumatisch zu erfahren. Es ist derjenige Zufall, der auf eine des moralischen Handelns fähige Instanz einwirkt.

René Kockelkorn



   




︎back to works


︎ back to menu

© Edmond Oliveira